
Er denkt nach. © Yudis Asnar under cc
Gibt es so etwas wie die Reichweite unseres Denkens? Die Gedanken sind ja frei, heißt es. Aber wie weit kann man mit ihnen gehen oder fliegen? Denken bedeutet geistig handeln, etwas bewegen, vorweg nehmen, in Beziehung setzten. „Unter Denken werden alle Vorgänge zusammengefasst, die aus einer inneren Beschäftigung mit Vorstellungen, Erinnerungen und Begriffen eine Erkenntnis zu formen versuchen.“ Das sagt uns Wikipedia, ein philosophisches Wörterbuch zitierend.[1]
Über das Denken wurde viel geschrieben und nachgedacht. Oft fragt man wo genau Denken eigentlich beginnt, was schon Denken ist und was noch nicht. Eine Frage, die je nach Perspektive, Definition und Disziplin anders und unter anderen Aspekten beantwortet wird. Wo immer man die Grenze nach unten zieht, fest steht, dass wir denken. Aber wie groß ist die Reichweite unseres Denkens? Wie weit kann das Denken uns tragen? Unendlich ist ist irgendwann Schluss?
Einerseits ist unser Denken unendlich. Wir können immer neue Phantasiewelten erschaffen und diese beliebig detailliert ausstatten. Wir können alle Variationen von „Was wäre, wenn …?“ bezogen auf Vergangenheit und Zukunft durchspielen. Wir können eine Unzahl logischer Systeme erdenken und was könnten wir nicht sonst noch alles. Aber gibt es dennoch Grenzen des Denkbaren?
Können wir nur denken, was wir kennen?
Wir können an einen rosa Elefanten denken, der Tankwart ist. Wir ahnen, dass er den nicht gibt, aber diese Kunstfigur, die auch noch Rollschuh fahren und Rilke rezitieren könnte, vereint dennoch uns bekannte Elemente, lediglich die Mischung ist anders als gewohnt. Aber, was hieße es wirklich anders zu denken? Wir könnten uns irgendwelche merkwürdigen Aliens oder Roboter als Kunstfiguren ausdenken, aber so grotesk sie manchmal auch vom Aussehen her gestaltet sein können, oft verkörpern sie in ihrem Streben zumeist wieder die schlechtesten menschliche Eigenschaften, wollen erobern, zerstören und versklaven. Also doch wieder nicht mehr als das, was wir kennen.
Kant war der Auffassung, dass wir nur anhand von Kategorien erkennen können, die unserer Wahrnehmung in gewisser Weise vorgeschaltet sind. Sein Gegenspieler Hume vertrat die Ansicht, dass all unser Wissen auf Erfahrung basiert, dem, was wir bereits kennen. Intelligenz ist nicht abschließend definiert, als Annäherung einigt man sich meisten darauf, dass es beduetet Lösungen für neue Situationen zu finden, solche, die man eben noch nicht kennt. Denkend neue Wege zu finden, ist also irgendwie drin.
Auf die Intuition vertrauen
Was ist eigentlich, wenn wir auf unsere Intuition vertrauen? Ist dass dann noch Denken oder hat das eher stärker emotionale Anteile? Aber ist das oft so genannte Bauchgefühl überhaupt ein Gefühl? Für vielebedeutet Intuition implizites Wissen, man weiß irgendwie was man machen muss, aber nicht genau warum. Und es ist so, dass man sich vorstellen kann, dass der eine einen guten Zugang zu seiner Intuition hat, ein anderen hingegen gar nicht. Vermutlich kennt jeder entsprechende Repräsentanten. Aber ist es nicht letztlich doch eine rationale Strategie, wenn man sagt, man habe bislang mit der Intuition gute Erfahrungen gemacht und würde daher weiterhin drauf setzen? Der Akt selbst mag intuitiv und implizit sein, aber die Strategie, sich auf die Intuition zu verlassen, ist eine denkende.
Aber ist dem Denken so überhaupt zu entkommen? Noch die spirituellste Erfahrung kann so als rationale Strategie – mithin Denken – eingefangen werden, einfach dadurch, dass man behauptet, man hätte eben was davon. Aber andererseits, wenn man in meditativer Versenkung da sitzt und den Strom der Gedanken betrachtend vorbeiziehen lässt, ist das noch Denken?
Prioritäten anders setzen, als gewöhnlich
Rauchen ist ungesund. Warum wollen Raucher das nicht einsehen? Von der Sucht mal abgesehen, habe Rauche aber in aller Regel keine Denkschwäche oder die Argumente nicht richtig verstanden, sondern, sie setzen einfach andere Prioritäten. Es trifft ja nicht jeden, mit den schlimmen Erkrankungen (außerdem auch Nichtraucher) und zudem: Lieber Spaß haben und ein höheres Risiko eingehen, als sich alles zu verbeißen und das trügerische Gefühl zu haben man sei auf der sicheren Seite. Denn so weit kann unser Denken reichen, dass wir erkennen, dass Statistiken, so gerne man es manchmal hätte, nichts über den Einzelfall aussagen.
Es gibt eigentlich nichts, was wir so betrachten müssten, wie es gewohnt ist. Es gibt gute Gründe dafür, dass Rad nicht jedes mal neu zu erfinden, aber andere Prämissen können wir durchaus jederzeit unterstellen. Dass wir es nicht tun, hat meistens keine anderen als Gewohnheitsgründe. Es hat sich halt zu einem großen Teil bewährt, so zu denken, es ist einfach Tradition, so zu denken wie wir es tun. Auch wenn man gegenwärtig den Eindruck hat, dass das Murren lauter wird, weil wir einige Fragen irgendwie prinzipiell nicht beantworten können. Es läuft sich tot. Die eine Fraktion erklärt alle Fragen, die man nicht erklären kann als grundsätzlich falsch gestellt. Fragt man nicht, gibt es auch kein Problem. Die andere Fraktion hat dabei allerdings den Eindruck, dass man Wesentliches ausblendet, etwa in der Qualia-Diskussion.
Länger schon wissen wir, dass das Denken eine noble Fähigkeit ist, aber nicht alles. Mal wird die Kraft des Denkens dramatisch überschätzt, mal unterschätzt. Etwas begriffen zu haben und es dann auch zu tun, sind zwei paar Schuhe, wegen der oben genannten anderen Prioritäten.
Wie weit reicht die Reflexion?
Die vielleicht beste Eigenschaft des Denkens ist, die Fähigkeit zur Reflexion. Doch auch hier ist umstritten wo die beginnt und endet. Reflexion ist die Fähigkeit über das, was man tut, fühlt und denkt nachzudenken und sich Rechenschaft abzulegen.
Zu wissen, was man will ist für einige eine reflexionsloser Grad des Denkens, für andere nicht. Denn einerseits will ich ja nur etwas, ich könnte sagen: „Ich möchte eine Pizza.“ „Ich weiß, dass ich Pizza möchte“, klingt irgendwie edler, aber der Philosoph Ludwig Wittgenstein würde kritisieren, dass beide Sätze dasselbe aussagen. Wer Pizza will und es sagt, weiß auch, dass er es will. Jeder vermeintlich weitere Grad wie: „Ich weiß, dass ich weiß, was ich will.“, bringt uns im Grunde nichts, ist heiße Luft.
Reflexion heißt eher den Kontext zu analysieren. Ich habe diese und jene Einstellung, aber wie bin ich eigentlich dazu gekommen? Den Denkweg nachzuzeichnen heißt zu die eigenen Prämissen durchzudringen und sich selbst auf die Spur zu kommen. Und wenn man die eigenen Einstellungen hinterfragt kommt man automatisch auf die Differenz der eigenen Ansicht, zu der anderer. Schreitet man weiter fort, kann man mit der Aussage, dass man durch die Hinweise anderer und dadurch, dass man öffentliche Sprachspiele (oder einfach: eine Sprache) erlernt erst zu sich kommt, etwas anfangen. Denn das ist erst mal kontraintuitiv. Niemand kennt mich besser, als ich mich selbst, ist der Gedanke, den vermutlich irgendwo jeder hat. Das stimmt auch, zu einem gewissen Teil, dennoch kommt man zuerst durch bereits existierende Begriffe und durch die Bemerkungen und Reaktionen anderer zu sich und wieder andere können bestimmte Anteile an mir erkennen, die ich selbst nicht sehe. Psychodynamische Therapien leben davon. Man kann auf einem längeren Denkweg nachvollziehen, warum die besten Theorien der Philosophie und Psychotherapie jene sind, die Menschen als Wesen und Beziehung betrachten.
„Ich weiß, dass du das weißt“ nimmt die Perspektive des andere mit hinein. Ein „Ich weiß, das du weißt, das ich weiß“, haben wir auch noch locker drauf, aber sind weitere abstrahierende Metaebenen überhaupt sinnvoll? Ein oder zwei vielleicht noch, aber irgendwann verliert man sich auf diesen Metaebenen, der Boden gleitet einem weg.
Er: „Du, die Anne finde ich nett.“
Sie: „Ich weiß, dass du sie nett findest.“
Er „Ich weiß, dass du weißt, dass ich sie nett finde.“
Sie: „Ich weiß“. (ausformuliert: „Auch dabei ist mir klar [= ich weiß], dass du weißt, dass ich weiß, dass du sie nett findest.“)
Irgendwann ein ist das kein sinnvolls Sprechen mehr eher ein leeres Ringen um Kontrolle – Botschaft: Ich weiß, wie du tickst, mir machst du nichts vor – wie in einem Ingmar Bergmann Film, aber ohne Erkennntnisgewinn.
Die Komplexität der Beziehungen, über die manche stolpern liegt nicht in einem hohen Abstraktionsgrad, sondern in der Unfähigkeit andere als ganze Menschen, mit eigenen Wünschen, Absichten, Gedanken, Gefühle anzuerkennen. Man würde es schon sehen können, was die Intelligenz und das Abstraktionsvermögen angeht, aber man kann es emotional nicht tolerieren, dass der andere wirklich anders ist. Weil dies zu Konsequenzen für das eigene Leben und den eigenen emotionalen Haushalt führen würde, die man nicht tolerieren kann.
Wie groß ist nun die Reichweite unseres Denkens?
Wenn eine Beobachtung nicht mit unseren grundlegenden Erwartungen übereinstimmt, haben wir uns daran gewöhnt zu sagen die Beobachtung sei falsch, gelegentlich auch, es müsse ein Messfehler vorliegen. Auch wen es gar nicht schlecht ist, hier erst mal konservativ zu bleiden: Theoretisch spricht nichts dagegen, auch die Regeln der Logik zu überdenken, aber das machen wir nicht. Auch etwas anderes scheint gesetzt, das Ich. Die Rede vom Ich ist sinnvoll und wir haben uns an sie gewöhnt. Dennoch könnten wir vermutlich auch anders. Das sind Botschaften, die uns Buddhisten und einige Philosophen nahelegen, wir haben nur, ebenso wie bei der Logik, Schwierigkeiten die Gewohnheiten zu ändern.
Die Gedanken sind frei heißt es und das ist aus vielen Perspektiven wahr. Aber so richtig weit lassen wir sie dann auch nicht fliegen, vielleicht auch, weil es eine längere Zeit lang Denkmode war, die großen Fragen zu den Akten zu legen. Andere Sichtweisen sind uns so fremd, dass wir echte Schwierigkeiten haben, die nachzuvollziehen. Die Indische Logik kennt Systeme, die nicht auf wahr oder falsch beschränkt sind. Menschen, die in einem mythischen Weltbild leben, haben oft eine zyklische Vorstellung von Zeit, die Idee, dass es Götter oder höhere Wesenheiten im Alltag präsent sind und oft auch vollkommen andere Vorstellungen von Lebenszielen, Gerechtigkeit und dergleichen.
Wir haben echte Schwierigkeiten von unseren Gewohnheiten zu abstrahieren und erkennen, wie umfassend anders andere Menschen, frühere Menschen ihre Welt erlebten. Wenn wir unsere Gedanken von der manchmal recht kurzen Leine lassen, können wir uns ein wenig einfühlen in diesen Kosmos des anderen Welterlebens. Das ist eine echte Übung in Empathie, die uns manches Mal staunen lässt und vielleicht sogar ein wenig demütiger macht, wenn wir feststellen, was andere Menschen früher schon wussten.
Quelle:
- [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Denken